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Spielstraßen sind Begegnungsorte
Schimanek ist Sprecher des Quartiersrat (QR) Soldiner Straße / Wollankstraße, Sprecher des Mieterbeirat Soldiner Kiez und Leiter der AG Nachhaltige Mobilität und Verkehrswende (AGNMV).
MüMu: Berlin Mitte ist groß und laut. Während allerorts nach Verkehrskonzepten gerufen wird, verhält es sich in diesem Thema im Soldiner Kiez ruhig. Warum?
Schimanek: Berlin Mitte hat viel aufzuholen was Mobilität angeht, so gibt es z.B. kein Mobilitätskonzept Mitte, die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität hinkt hinterher, Fahrradwege auf z.B. der Müllerstraße und festgestellte Mobilitätskonzepte, werden nicht umgesetzt. Das ist inakzeptabel. Im QR haben wir lange über ein Mobilitätskonzept “2030” diskutiert. Wir sind uns einig, dass wir ein integriertes Mobilitätskonzept mit starkem Fokus auf Beteiligung ganz klar wünschen, solange es aus regulären Haushaltsmitteln und nicht aus Mitteln des sozialen Zusammenhalts finanziert wird. Wir sehen es nicht ein, für eine Regelaufgabe des Bezirks die Rechnung zu zahlen. Der QR braucht das Geld für die Arbeit im Kiez, z.B. für soziale Bildungsprojekte wie das Müllmuseum. Ich bin auch zuversichtlich, am 31.08.2020 haben die QR-Sprecher*innen der QM-Gebiete aus Mitte vor dem Ausschuss für Soziale Stadt die Zusammenarbeit mit dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) problematisiert. Da hat Stadtrat Gothe vorgeschlagen, dass Mobilitätskonzepte in Mitte im Haushalt verbucht werden können, außerhalb des sozialen Zusammenhalts. Das ist auch logisch, wer auf die Karte von Mitte guckt, wird schnell erkennen, dass die QM-Gebiete nur einen Teil von Mitte abdecken.
MüMu: Welche Themen kommen in der Kiez AG Nachhaltige Mobilität und Verkehrswende zur Sprache?
Schimanek: In der AGNMV wird alles zum Thema Nachhaltigkeit und Mobilitätswende angepackt. Dazu gehören Probleme, wie z.B. das Wildparken im Soldiner Kiez, die lärmende Prinzenallee-Wollankstraße, die beiden Unfallschwerpunkte Osloer Str. / Prinzenallee und Prinzenallee / Soldiner Straße. Es geht auch um Visionen, wie eine nachhaltige Mobilität im Kiez gelingen kann, z.B. die Anbindung an die Radschnellverbindung “Panke-Trail”, die Reduktion des Durchgangsverkehrs in Wohngebieten oder die Umwidmung von Straßenraum, wobei immer der Mensch im Mittelpunkt steht.
MüMu: Der Rückgang des Verkehrs durch Diagonalsperren. Was bitte ist eine Diagonalsperre?
Schimanek: Ein Modalfilter, ein Straßenelement was die Durchfahrt bestimmter Verkehrsteilnehmer erlaubt. Und eine einfache kostengünstige, flächensparende Möglichkeit, um den Durchgangsverkehr, den Lärm und die Schadstoffbelastung in unseren Wohngebieten zu reduzieren. In der AGNMV, dem Mieterbeirat und dem QR haben wir den Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu Diagonalsperren in Mitte (2096/V) als Arbeitsauftrag verstanden. Wir haben eine Onlineumfrage durchgeführt um zu sichten, wo die Anlieger*innen eine Diagonalsperre wünschen, dann haben wir mit unabhängigen Expert*innen von Changing Cities Mitte die Kreuzungen analysiert und haben eine Verkehrszählung durchgeführt. Letztlich habe ich die Empfehlung für eine mögliche Diagonalsperre an der Kreuzung Soldiner Straße / Grüntaler Straße an das SGA und an den Verkehrsausschuss der BVV gesendet. Die positive Nachricht: Die Empfehlung wird geprüft. Die schlechte Nachricht: Es wird sehr lange dauern bis die Prüfung erfolgt ist, da es dem SGA an Personal fehlt.
Schimanek: Allen, denn es sind vielfältige Konzepte. Spielstraßen sind für kleine Kinder da, und auch für die Großen, für Musik, für Aufklärungsarbeit u.v.m.. Sie sollen Begegnungsorte werden. Viele haben sich zu selbstverständlich daran gewöhnt, dass Straßen nicht zugängliche Räume sind. Daran wird sich viel ändern, auch und ganz besonders in Zeiten von Corona. Wo sollen Veranstaltungen in Zukunft stattfinden? Nachverdichtung ist Thema in unserem Kiez, wo bleibt noch Platz? Der einzige Ort im Kiez, der unter Corona-Auflagen mehr als 50 Menschen aufnehmen kann, ist die Stephanuskirche. Die Lösung liegt auf der Straße und wird endlich auch im Bezirk Mitte verfolgt. Das zeigt insbesondere die Ausschreibung unseres Projektes im Rahmen des sozialen Zusammenhalts, für die die AGNVM sehr lange und intensiv gekämpft hat: PROJEKT #TEMPORÄRE SPIELSTRASSEN: REALLABOR FÜR NACHHALTIGE MOBILITÄT Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich habe lautstark dafür geworben, dass vom Reallabor alle Anwohner*innen profitieren, und dass es an vielen Stellen im Kiez stattfinden soll. Ich bin zuversichtlich, dass das Reallabor breit im Soldiner Kiez ankommen wird. Vorher organisieren die Kita Freienwalder Straße und das QM Soldiner Straße eine Spielstraße und machen mit beim berlinweiten „Fest der Spielstraßen“. Am 22.09.2020 ist die Sackgasse im Norden der Freienwalder Straße von 14-18 Uhr ein Spielplatz. An alle Leser*innen: Kommt vorbei und zeigt, dass wir mehr Spielstraßen wollen und brauchen.
MüMu: Warum kann etwa die Koloniestraße nicht „stillgelegt“ werden?
Schimanek: Wer sagt das? Ich denke das geht. Deine Frage führt auf die Gretchenfrage: Wie gelingt es Straßen für Anwohner*innen nutzbar zu machen? Es geht nur mit den Anwohner*innen. Wenn mit Stilllegung der Ausschluss von Durchgangsverkehr gemeint ist, geht das ohne Probleme. Wenn mit Stilllegung der komplette Ausschluss des Kraftfahrzeugverkehrs gemeint ist, dann ist das eine große Herausforderung. Dafür braucht es Ausgleichsflächen für die Anwohner*innen mit Auto und eine ordentliche Versammlung aller Anwohner*innen. Würden durch die Straßenschließung Parkflächen in der Koloniestraße entfernt, müssten die Anwohner*innen, die bisher in der Koloniestraße parken, an einer anderen Stelle im Kiez parken. Und genau das ist schwierig: Platz in Berlin ist beschränkt. Woher nehmen? Ungenutzte Parkflächen: Der Mieterbeirat Soldiner Kiez zählt derzeit alle Parkflächen im Kiez. So viel sei verraten: Viele private Parkplätze bleiben ungenutzt. Für wie viele Stilllegungen im Kiez das reichen wird, das werden wir 2021 wissen.
MüMu: Was braucht es, um einen Klimanotstand auszurufen? Würden Sie das im Soldiner Kiez empfehlen?
Schimanek: Berlin und Mitte sind im Klimanotstand. Im QR haben wir über eine Ausrufung diskutiert und sind uns einig, dass wir den Klimanotstand anerkennen, allerdings nicht ausrufen. Wir solidarisieren uns mit den Anwohner*innen und dem Klima, das zeigt auch die Arbeit des Mieterbeirat und der AGNMV. Zusammen organisieren wir einen Workshop “Verkehr – (Probleme) – Reduzieren im Soldiner Kiez”. Der Mieterbeirat hat bereits die Empfehlung zur Diagonalsperre mit viel Einsatz unterstützt, und die wichtige Verkehrszählung durchgeführt. Der Workshop mit Anwohner*innen wird mehr Empfehlungen erarbeiten und im April 2021 stattfinden. Für die Vorbereitung des Workshops sind noch Aufgaben zu erledigen. Es sollen z.B. Flyer, Kartenmaterial designed werden und es sollen vorbereitend Zählungen durchgeführt werden. Wer sich beteiligen möchte, kann sich gerne an die AGNMV nachhaltiger.soldiner.kiez@gmail.com oder den mieterbeirat.soldiner.kiez@gmail.com wenden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schimanek.