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Trotz leerer Straßen ist Corona ein Klimakiller – sozial

18.08.2020

Die Corona-Krise hat nicht nur den Soldiner Kiez, sondern die ganze Welt lahmgelegt. Der Stillstand hat die Rückkehr der Natur befördert und für einen kurzen Moment gezeigt, wie es ist, wenn alles still ist. In Venedig kehren Fischschwärme in glasklaren Kanälen. In Indien sind die Umrisse des Himalayas zu sehen, Italien und China vermelden weniger Stickstoff-Ausstoße und auch die Luft an der Prinzenallee im Soldiner Kiez war während des globalen Lockouts sauber. Der Autoverkehr so gering, wie zu Mauerzeiten. Für den 12-jährigen Nachbarsjungen schien die Sache ebenso klar: der Schnee, der Anfang April fiel, war eine sofortige Reaktion auf den Stillstand. „Corona ist gut“, befand er „Die Autos sind weg. Die Flugzeuge sind still – und schon wird es wieder richtig Winter!“ Ganz so einfach ist es nicht. Das wissen wir alle. Dennoch steht die Frage im Raum: war der Lockdown gut für die Umwelt? 

Sobald die Spielplätze geschlossen wurden, und die Menschen in ihren Wohnungen blieben, die Freizeitclubs und Nachbarschaftstreffs ihre Türen verriegeln mussten, schien es auf den Straßen – schlagartig sauberer zu werden. Eine logische Folge, da die Menschen ja angehalten waren, zu hausen zu bleiben. Dass tausende von Kindern im Soldiner Kiez die Spielplätze nicht betreten durften, machte sich auch dort bemerkbar. Müll flog nur noch vermehrt am Franzosen-Becken herum, wo sich einzelne Leute abends trafen und beim Sonnenuntergang auf Abstand ein Bier oder Limo tranken. Zigaretten und Flaschen wurden danach stets vom Grünflächenamt weggeräumt, das nicht schlecht über diesen neuen Müll-Ort staunte. Herr Stolz: „So schlimm habe ich den Kiez noch nie erlebt. Aber es scheint klar: Alle anderen Orte sind versperrt, also weichen die Leute auf die Grünflächen aus.“ Während das Grünflächenamt im Mai den letzten von vier Container auf Spielplätze gestellt hatte, um gegen Littering anzugehen, verfügt das Panke-Rückhaltebecken über vier gewöhnliche Eimer, die neben Parkbänken stehen. Eine leichte Beute für Krähen und Füchse, die flachs allerlei Schrott aus dem Eimer fischen. Obwohl… Rauchen tun Tiere wirklich nicht. Wer einmal mit der Zange Zigaretten vom Rasen lesen musste, der wird Zeit seines Lebens die Kippe nie wieder auf den Boden schmeißen, bemerkt eine Nachbarin mit bayrischem Akzent.

Auch die Produktionen standen still. Das machte sich am Autoverkehr im Soldiner Kiez bemerkbar, immerhin führt die Prinzenallee schnurstracks auf die Autobahn. Täglich bringen Tausende von Lastwagen ihre Waren in die Stadt, oder raus. Auch der Flughafen Tegel wurde teilweise nicht angeflogen. Der tosende Lärm der startenden Flugzeuge war verschwunden. Endlich hörte man die Vögel singen, die Falken schreien.

Der Luftverkehr soll laut Senat auf das Niveau der 90er Jahre zurückgeworden worden seien. Zur Erinnerung: damals gab es noch keine Billigflieger und Touristen kamen mit dem Zug in die Hauptstadt. Die Emmissionswerte sind so definitiv zurückgegangen. Für die Umsetzung des Energie-Wende-Gesetzes ein außerordentliches Ziel, wenn die Kehrseite nicht so traurig wäre: Über 1 Millionen Nähererinnen wurden allein in Bangladesch entlassen. Durch Corona und die Grenzschließungen konnten Kleiderhersteller wie H&M, C&A und Prime Mark ihre Waren nicht einführen und verkaufen. Über 33 Millionen Amerikaner verloren ihre Jobs. Und auch in Berlin hat die Pandemie ihre tiefen Kerben gelassen: über 182.000 Menschen meldeten sich im April insgesamt arbeitslos. Wir erinnern: eine globale Wirtschaftkrise ist kein Plan gegen eine Welt, die in Müll und Stinke versinkt.
Während also der Mensch durch den Lockdown der Natur ihren Raum eine kleine Weile zurückgegeben hat, wurden die sozialen Gräben immer tiefer. Der 27-jährige Nachbar aus Damaskus war unter der ersten Entlassungswelle, obwohl er mehr Pakete austragen konnte, „als alle anderen.“ Auffällig leer waren auch die Plätze, an denen sich gewöhnlich viele sogenannte Wanderarbeiter treffen. Der Lockdown hat dafür gesorgt, dass sie ihrer Arbeit nicht nachgehen konnten. Viele blieben in ihren Heimatländern. Dennoch türmte sich illegaler Sperrmüll an genau jenen Stellen. 

Corona ist wie das Schlüppergummi, das plötzlich nicht mehr hielt und alles zeigte, wie es ist. 


ABOUT LENA REICH

Lena ist Journalistin und Gründungsmitglied des Müll Museums. Sie schreibt, initiert und setzt sich leidenschaftlich für die Bildung von Kindern und Jugendlichen – nicht nur im Kiez – ein.