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Interview zum Müll Museum Soldiner Kiez
Für Lena Reich vom Projekt Sauberer Kiez ist Abfall, Müll und Weggeworfenes mehr als Dreck, der weg muss. Für sie ist Müll auf der Straße kein Stein des Anstoßes, sondern Anregung zum Nachdenken.
Kiezreporter: Im Projekt „Sauberer Kiez“ wird das Müll Museum Soldiner Kiez entstehen. Warum ein Müllmuseum?
Lena Reich: Müll und Alltagsgegenstände sind Kunst. Das sagte schon der Künstler Marcel Duchamps, der mit einem gefundenen Rad 1913 für Furore sorgte. Dieser Auffassung schließen Susanne Schultze-Jungheim vom Interkulturellen Theaterzentrum Berlin (itz) und ich uns an. Anhand der ausgestellten Müllkunst oder des Kunstmülls erzählen wir die Geschichte des Soldiner Kiezes. Aus einem Grund: Wir wollen die Diskussion über Müll in diesem Kiez endlich auf eine andere Ebene bringen.
Kiezreporter: Welche andere Ebene? Wie wird denn aktuell diskutiert?
Lena Reich:Bisher sind die wilden Müllkippen, herumflirrender Verpackungsmüll und falsch entsorgter Hausmüll Anlass für gegenseitige Vorwürfe, Sozialkontrolle und letztlich auch Rassismus, wie eine Anwohnerversammlung 2015 zeigte. Damals schlug ein Nachbar vor, der Roma-Gruppe, die er für Müllkippen verantwortlich machte, in „die Bahn nach Oranienburg zu setzen“. Ich weiß nicht, ob er wusste, dass im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg 1936 und 1945 etwa 1.000 Sinti und Roma inhaftiert und viele von ihnen brutal ermordet wurden. Das Müll Museum Soldiner Kiez bietet Bildung und Reflexion, das schadet nie und beugt Rassismen wie diesen vor. Daher erhält das Müll Museum Soldiner Kiez den Beinamen „Haus für soziale und wohnliche Nachhaltigkeit“.
Kiezreporter: Ist das Müll Museum Soldiner Kiez eine Kunstaktion?
Lena Reich: Es ist ein künstlerisches Museum, doch das schließt nicht aus, dass wir über historische politische Säuberungen im Kiez sprechen. Die Ausstellung zeigt über 20 Objekte jeden Genres: von Skulptur über Foto, Film bis Zeichnung und Knetkunst. Diese Kunstwerke sind mit einem Netzwerk entstanden, das sich im Soldiner Kiez mit dem Thema Müll beschäftigt. Der Verein Menschen im Mittelpunkt hat Taschen aus alten Stoffen genäht und diese an Kioske und Spätis in der Umgebung verteilt, um eine Alternative zum Plastikmüll aufzuzeigen. Auf Kiezspaziergängen zum Beispiel mit dem Oberstufenzentrum Kommunikation-, Informations- und Medientechnik (OSZ KIM) sind eindrucksvolle Zeichnungen entstanden, die wiederum als Grundlage für die Plakatgestaltung herhielten. Sie spiegeln auf hohem künstlerischen Niveau den Habitus von Hinschmeißen und Wegsehen.
Kiezreporter: Reden über Müll ohne gegenseitige Vorwürfe, wie sollte die Diskussion um Müll besser geführt werden?
Lena Reich: Sie sollte in jedem Fall Dinge hinterfragen. Nehmen wir den Coffee-to-Go-Becher, der einem immer wieder auf der Straße oder Spielplatz begegnet. Der Becher tauchte hier als Müll etwa 2003 oder 2004 auf. Im selben Jahr hielt die europaweit vorherrschende twenty-four-seven-Mentalität auch hier im Kiez Einzug. Gleichzeitig verschwand die Alu-Dose aus der Öffentlichkeit. Mit dem Einwegpfand wurde sie quasi resozialisiert und dient heute als Mittel, Armut zu bekämpfen. Ein anderes Beispiel: Die schillernde Müll-Skulptur der Künstler Ron Gerlach und Rene Breitenbacher hinterfragen das soziale Miteinander im digitalen Zeitalter. Die Skulptur zeigt einen gekreuzigten Jesus, der von Handys umzingelt wird. Die Reaktion der Kiezkinder während der Kiezwerkstatt war bemerkenswert: Sie haben sofort diskutiert, welche Handys sie einmal selbst besaßen, wie sie kommunizieren, ob sie Tagebuch schreiben oder WhatsApp benutzen. Von hier aus kommen wir ganz schnell zur Frage, wie wichtig und nachhaltig elektronische Mode ist, und was mit Daten passiert, wenn sie gelöscht werden oder an einen Anbieter von Leihfahrrädern gehen.
Kiezreporter: Gibt es auch praktische Aspekte in eurem Projekt?
Lena Reich: Wir veranstalten Workshops zu den einzelnen Exponaten und auf den Straßen. Ab Mai 2019 werden wir eine AG aufbauen, in der es um die Hinterhof-Architektur des Kiezes und die zentrale Frage geht: Wie schaffen wir Aufenthaltsqualität in den Hinterhöfen, ohne dass die Miete gesteigert wird. Viele Hinterhöfe quellen über vor Rattenlöchern und Mülltonnen. Ich denke an den italienischen Schriftsteller Italo Calvino, der sagte: „Bürger ist, wer eine Mülltonne besitzt“. Die Müll-Kultur des Soldiner Kiezes erzählt eine andere Geschichte.
Kiezreporter: Mit einer Verschönerungsaktion 2020 sollen Hinterhöfe im Kiez wieder in Schuss gebracht werden. Was hat es damit auf sich?
Lena Reich: Es wird nicht einfach nur darum gehen, einmal gründlich aufzuräumen. Gemeinsam wollen wir Verantwortliche und Betroffene aufs Panel setzen und herausfinden: wer kommt seiner Verantwortung nicht nach? Sind es immer nur die Mieterinnen und Mieter? Wie steht es mit öffentlichen Stellen? Mit Eigentümern von Immobilien? Denn ausbaden müssen es am Ende die Kinder, die in BSR-Westen gesteckt werden und Spielplätze reinigen. Da muss man in größeren Zusammenhängen denken.